Wenn wir uns heute an das Leben, die Heiligkeit und die Geschichte der ehrwürdigen Dienerin Gottes erinnern, dann deshalb, weil der Mut und die Kühnheit ihrer täglichen Antwort auf das Evangelium „Geh und handle genauso!“ (Lk 10, 37) auch für die Christen des 21. Jahrhunderts und des dritten Jahrtausends ein gültiger Lebensplan bleibt. Sie hat geglaubt, dass es immer möglich ist, Glaubensleben dort zu wecken, wo dieses sehr schwach ist und es dort wieder zu beleben, wo es schon verkümmert ist. Ihr Geist und ihr Charisma leben heute unter uns, und so ist sie eigentlich unter uns anwesend. Was würde sie uns heute sagen, wenn wir ein paar Fragen an sie stellten? Also, hören wir…
Mutter Alfons Maria, Sie stammen aus einer christlichen Familie und lebten in einer Zeit, in der der christliche Glaube nicht besonders geschätzt war. Welche Erinnerungen haben Sie aus Ihrer Kindheit?
Ich komme aus Niederbronn – einem kleinen Badeort, in dem immer reges Leben herrschte. Meine Eltern waren einfache, arbeitsame Leute. Sie lehrten uns die Liebe zu Gott und zu den Nächsten zu praktizieren. Meine Eltern hatten den lobenswerten Brauch, jeden Abend den Rosenkranz und die Mutter Gottes Litanei zu beten. An sehr arbeitsreichen Tagen beteten wir die Litanei, fünf „Vater unser“ und fünf „Ave Maria“. Oft erzählten sie uns Kindern von der Liebe unseres Erlösers.
Hatte das Beispiel Ihrer Eltern auf Sie großen Einfluss?
Sicher. Meine Eltern waren für mich die ersten Glaubensverkünder. Besonders erinnere ich mich an eine Begebenheit, die in der Kindheit meine Seele tief erschütterte und mich während meines ganzen Lebens begleitete. Oft habe ich daran gedacht, wie Jesus wegen uns gelitten hatte. Einmal kam mir die Frage: Warum dieses Leiden? An diesem Tag nahm mich meine Mutter mit auf das Feld. Unterwegs kamen wir zu einem Kreuz; ich betrachtete dasselbe und richtete an meine Mutter die Frage: „Warum haben sie denn unseren Heiland gekreuzigt?“ Meine Mutter antwortete mir: „Mein Kind, das haben unsere Sünden getan.“ Ich fragte sie dann: „Was ist eigentlich eine Sünde?“ Ihre einfache Antwort führte mich zum Versprechen: „Wenn das eine Sünde ist, so will ich es nicht mehr tun.“
Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Schulzeit zurückdenken?
Ich freute mich sehr auf die Schule, weil ich hoffte, dass ich dort viel über Gott hören und ihn besser kennen lerne werde. Doch mein erster Schulbesuch war eine riesengroße Enttäuschung für mich. Der Lehrer setzte mich zu Kindern, die sich allerlei gemeine Reden erlaubten. Ich musste das anhören. Manchmal konnte ich nicht schlafen, wenn ich an die Schule dachte. Zum Glück hat sich das nach einem halben Jahr geändert. Der Lehrer setzte mich in eine Bank nahe seinem Lehrepult. Ich musste keine respektlosen Reden mehr anhören und konnte zugleich dem Unterricht des Lehrers besser folgen. Dann bekam ich auch wieder Freude, in die Schule zu gehen.
Welche Unterrichtsstunden waren Ihre liebsten?
Natürlich Religion. Wenn der Herr Pfarrer in die Schule kam und in die Klasse eintrat, schaute ich ehrfurchtsvoll auf ihn. Doch ich durfte noch nicht bei seinem Unterricht bleiben, erst als ich das zehnte Jahr erreichte hatte, durfte ich daran teilnehmen. Ich erinnere mich, wie wir als die Kleinsten vor dem Lehrer gesessen sind. Es war wunderbar. Jedes Mal, wenn ich nach dem Religionsunterricht unseres Herrn Pfarrers nach Hause gekommen war, dachte ich ernsthaft über das Gesagte nach.
Aus Ihren Worten höre ich heraus, dass Sie Ihre Hochachtung den Eltern gegenüber auch auf den Lehrer und Herrn Pfarrer, die Sie unterrichteten, übertragen haben. Erinnern Sie sich gern an sie?
Ja, nicht nur dem Herrn Pfarrer gegenüber, sondern auch vor dem Lehrer hatte ich große Hochachtung. Wenn ich hören musste, dass man etwas gegen den Einen oder den Andern sagte, so weinte ich und bat Gott, dass er die Herzen derjenigen ändern möge, die sich so böse Reden erlaubten. Und wenn ich sah, dass meine Mitschüler den Lehrer beleidigten, bat ich Gott unter Tränen, dass er eine solche Beleidigung nicht mehr zulasse. Wurde der Herr Pfarrer beleidigt, so wurde ich noch mehr ergriffen.
Nach Ihrer Kindheit, die von Liebe zu Gott und zum Nächsten erfüllt war, hatten die Jahre Ihrer Jugend großen Einfluss auf Ihre Beziehung zu Gott – wie bei allen jungen Menschen. Welche Momente waren das?
Rückblickend nehme ich diese Zeit als großen Segen wahr, doch damals war es sehr hart für mich. Mein Heranwachsen war von schweren inneren Prüfungen begleitet. Ich hatte keine Lust zum Gebet, spürte nur Widerstand und Überdruss. Manchmal empfand ich während des Gebetes solche Langeweile, dass es mich ekelte. Ich wusste, dass es nicht so weitergehen könne. Ich beschloss, meine Schwierigkeiten meinem Beichtvater anzuvertrauen und mich an seinen Rat zu halten. Aber es war nicht so leicht. Ungefähr ein volles Jahr dauerten meine inneren Leiden. Sie waren so heftig, dass dadurch mein Körper geschwächt wurde und sich meine Gesundheit verschlechterte. Das Einzige, was mir in dieser Zeit half, war mein Gehorsam gegenüber meinem Beichtvater.
Verschlechterte Gesundheit?
Als ich siebzehn Jahre alt war, kamen zu meinem inneren Kämpfen auch gesundheitliche Störungen. Meine Krankheit war am Anfang sehr schmerzhaft; aber noch heftiger waren meine inneren Leiden. Ich hatte einen nahen Tod vor Augen. Die Schmerzen waren so heftig, dass ich nicht reden, sondern nur Zeichen geben konnte. Meine Psyche war extrem angespannt, und auch eine Tuberkuloseerkrankung machte mir fast drei Jahre zu schaffen.
Haben Sie Gott nicht Vorwürfe gemacht, warum er das zuließ?
Nein, ganz im Gegenteil. Der einzige Trost in meinem Leiden war das Kreuz für mich. In den vielen Stunden im Bett beschäftigte ich mich in Gedanken ständig mit einer Bitte, die ich von Kindheit an wiederholte: dass ich eine Heilige werde und dass ich immer Gottes Willen erfülle. In dieser Zeit dachte ich auch daran, mein Leben ganz Gott zu schenken. Die Krankheit wurde für mich eine „Schule des Lebens“. Ich lernte, mich in das Leid anderen Menschen einzufühlen.
Der heutige Mensch hat große Probleme, die Wirklichkeit des Leidens anzunehmen. Was würden Sie ihm raten?
Ich weiß, dass die Leiden schmerzlich sind, aber sie sind wertvoll für uns. Sie lösen uns von uns selbst, sie töten unseren Stolz, sie machen uns bereit, uns Gott vollkommen hinzugeben. Möge der Gedanke an den Himmel alle Leidenden stärken!
Die Frage des Leidens Christi und des menschliechen Leides war wichtig in Ihrem Leben. Als Antwort auf dieses Leiden waren Sie bereit, mit dem Erlöser zusammenzuarbeiten, und fanden den Mut, eine Ordensgemeinschaft zu gründen. Könnten Sie bitte das Anliegen dieser Gemeinschaft einfach beschreiben?
Der Geist der Töchter des Göttlichen Erlösers soll der Geist Jesu Christi sein. Ihr ganzes Leben soll sich nach diesem göttlichen Vorbild richten. Sein Geist soll sie ganz beleben und so völlig durchdringen, dass er sich in allen ihren Worten und Handlungen äußert. Die Sendung unserer Gemeinschaft ist, überall dort zu sein, wo unsere Nächsten leiden!
Warum haben Sie sich entschieden, als Schwester vom Göttlichen Erlöser, vor allem den Armen und Kranken zu dienen?
Jesu Liebe zu Gott Vater und zum Nächsten hat sich vor allem im Gebet und im Dienen gezeigt. Ich nehme an, dass Sie es denen, die Ihnen auf Ihrem Weg folgen, ans Herz legen. Wie sollen wir richtig beten?
Das wahre Gebet kommt vom Herzen. Ich denke nicht, dass es uns verboten ist, so zu beten, wie es unser Herz fühlt. Im Gegenteil, zeigen wir mit Treuherzigkeit unsere Gefühle und Wünsche. Wenn wir beten, ist Jesus mit uns. Wir können Gottes Willen nicht erkennen, wenn wir nicht durch das Gebet in eine tiefe Beziehung zu Gott finden.
Und wenn Gott meine Bitte nicht erhört?
Es ist unmöglich, dass wir nicht erhört werden, wenn wir unser ganzes Vertrauen auf Gott setzen und Ihn eindringlich bitten. Vertrauen wir auf Gott, erhoffen und erwarten wir alles von Ihm. Wir werden nie glauben, dass Er uns verlässt. Wenn Er uns warten lässt, ist es zu unserem Wohl.
Ist denn Gebet wichtig?
Eine Seele braucht weiter nichts zu tun als das Gebet zu vernachlässigen, um verloren zu gehen. So wie der Körper nicht ohne Nahrung leben kann, so kann auch die Seele nicht ohne Gebet leben.
Zum Gebot der Liebe gehört auch die Nächstenliebe. Wie verstehen Sie diese?
Es soll euch keine Mühe, keine Anstrengung und kein Opfer zu schwer sein, wenn es die Liebe des Nächsten erfordert. Es ist traurig zu sehen, wie Seelen sich oft dem Tisch des Herrn nahen und in sich Widerwillen und eine Art Hass gegenüber dem Nächsten haben. Lernen wir einander zu ertragen, lernen wir besonders zu verzeihen und zu vergessen.
Mutter Alfons Maria, in der Eucharistie finden Sie die echte Mitte Ihres Lebens, Ihres Dienstes und die geistliche Kraft für das Erfüllung der Apostolatsaufgaben. Was bedeutet das für die von Ihnen gegründete Gemeinschaft?
Mit dem Blick auf das Kreuz zu leben und die spirituelle Kraft aus der eucharistischen Vergegenwärtigung des Kreuzesopfers zu schöpfen. Mit dem Blick auf die Eucharistie die Schwesterngemeinschaft aufzubauen und ihre Einheit zu festigen.
Ihr Lebensmotto ist: „Alles für Gott und für das Heil der Seelen“. Warum?
Gott ist mein Alles. Und das Heil der Seelen? Ich liebe die Sünder, ich sehe in ihnen Geschöpfe Gottes, von ihm geliebte Menschen. Ich gebe mein Blut und mein Leben für ihre Rettung. Gott hat den Menschen für das Glück geschaffen, ich will ihm dazu helfen, sein Glück zu finden!
Wir leben in einer „übertechnisierten“ Zeit, Unglücksfälle und Katastrophen stehen auf der Tagesordnung. Was würden Sie denen raten, die sich entscheiden, „ohne Grenzen“ zu retten, zu dienen und Not jeder Art zu lindern?
Suchen Sie in solchen Prüfungen bei denen es um Lebens und Tod geht, nicht eitle Ehre und das Ansehen der Menschen. Bemühen Sie sich, nur Gott zu gefallen. Kämpfen Sie mutig, wie Soldaten Christi. Geben Sie nicht der Schwachheit nach und widerstehen Sie tapfer der Entmutigung! Folgen Sie in Demut Christus nach in seiner Liebe und Güte, in seinem Leiden! Ich fürchte den Ruhm der Welt für meine Schwestern wie das Feuer. Ich mache sie immer darauf aufmerksam, dass sie mehr an Gott und ihre Nächsten denken sollen, als an sich. Ich kann nicht zulassen, dass meine Schwestern von der Welt verherrlicht werden. Gott allein ist unsere Belohnung und unser Ruhm.
Mutter Alfons Maria, danke für das Gespräch. Und was würden Sie gern zum Schluss hinzufügen?
Habt Mut! Gott ist mit euch, wenn ihr seinen Willen erfüllt!