Mäßigkeit
Die Dienerin Gottes übte die Tugend des Maßhaltens in heroischem Maß. Sie wusste ihre Sinne in fester Disziplin zu halten. Die Gnade Gottes zeigte ihr sehr früh die Mittel, die zu ergreifen sind, und indem sie ihren Eingebungen vollkommen entsprach, gelang es ihr, Ordnung und Harmonie in ihren Fähigkeiten zu erreichen und in allem ein vollkommenes Maß zu zeigen.
Die hauptsächlichen Anlässe für Verwirrung kamen bei der Dienerin Gottes von ihrem Temperament, das zu einer gewissen Heftigkeit, zu Eigensinn und Unnachgiebigkeit neigte. Sie spürte ab dem Alter von sechs Jahren, dass sie dieses Hindernis besiegen musste, um Gott besser zu finden. „Heftiger Eigensinn erfasste meine Seele, wenn ich nicht erreichte, was ich wollte, aber das dauerte nicht lang. Sofort kam ich zu mir, ich dachte, dass das nicht gut war, ich weinte über meine Fehler, ich sagte mir: Wohin komme ich, wenn ich so handle? Ich darf nicht ungehorsam sein gegen meine Eltern.“ Von da an wird sie durch Gehorsam damit fertig werden, sie wird „den Gehorsam des Jesuskindes“ nachahmen. Später hätte sie die Liebe zum Gebet zum Ungehorsam verleiten können, aber Jesus sagt ihr: „Gehorsam gefällt mir besser.“ Sie übt sich darin, wieder liebevoll mit ihren Geschwistern umzugehen, wenn sie spürte, dass Ungeduld in ihr hochstieg. Sie kam zu einer solchen Ruhe, dass Abbé Busson sagen konnte: „Sie beklagt Missstände, Verfehlungen, aber sie spricht darüber mit Bedauern, wenn sie manchmal darauf dringt, macht sie es mit Bedauern. Keine Heftigkeit, keine bitteren Vorwürfe… Keine Befehlsform in ihren Worten. Nur selten gibt sie Ratschläge. Ihre Art zu sprechen ist es, zu wünschen und zu bitten.“
Die Dienerin Gottes liebte die Armut ihrer Lebenswelt und schaute nie begehrlich auf das, was die Annehmlichkeiten des Lebens betrifft. Mehr noch: sie vermied alles, was ihren Sinnen Befriedigung verschafft hätte. Sie liebte die harte Feldarbeit aus Liebe zu Gott, der sie ihr auferlegte. Weil sie darin Gelegenheit fand, über sich zu siegen, suchte sie alle Gelegenheiten, ihrem Leib Leiden zuzufügen: Sie legte sich auf einem Brett nieder, kniete bei Beten auf Holzscheitern. „Ich empfand auch einen heftigen Wunsch nach körperlichen Bußübungen. Ich fing damit an, mich zum Beten auf etwas Hartes zu knien. Mit Tränen in den Augen betete ich: O mein Jesus, gib mir doch die Gnade, keine Stunde des Tages vergehen zu lassen, ohne dich zu lieben!“ Sie nahm mit Liebe die Unannehmlichkeiten jeder Art an, die ihre langen Krankheiten mit sich brachten, mitten in ihrer hart arbeitenden Familie, und durch den fast ständigen Zustand körperlichen Leidens während ihres ganzen Lebens. „Bei diesen kleinen körperlichen Abtötungen wiederholte ich oft in meinem Herzen diese Bitte: Nicht wahr, mein Jesus, du gibst mir jetzt, um was ich dich bitte, du wirst mir erkennen lassen, was ich tun soll, um dir Freude zu machen und dich nicht zu betrüben.“
Beim Essen und Trinken zeigte sie sehr große Beherrschung. Schon als Kind tötete sie sich bei Tisch ab. Später legte sie das Gelübde ab, nichts an Nahrung zu sich zu nehmen, als was der Beichtvater erlaubte. Pfarrer Reichard bestätigt, dass sie sehr wenig aß. Sie wollte, dass die Nahrung ihrer Töchter die der Armen ist.
Sehr stark fühlte sie sich angezogen von der Einsamkeit und vom Schweigen. Als Kind hat sie ständig das Bedürfnis, sich an einen verborgenen Platz zurückzuziehen, um zu beten und zu betrachten. Diese Anziehung wuchs in ihr weiter, als sie ein junges Mädchen war. „Meine Liebe zur Einsamkeit wurde inniger.“
Pfarrer Reichard bezeugt: „Sie suchte mehr und mehr die Einsamkeit, um sich in größerer Freiheit und mit mehr Liebe mit ihrem göttlichen Bräutigam unterhalten zu können.“ Unter der Eingebung des Himmels nahm sie dies als Regel für ihr Verhalten:
1) Wenig reden und nur, wenn es notwendig ist.
2) Die Ohren vor nutzlosem Gerede verschließen.
3) Die Augen vor jeder Neugierde bewahren.
Ihr Reden ist voll Zurückhaltung und Würde. Bischof Raess bezeugt: „Sie antwortete mit bewundernswerter Genauigkeit und Klarheit. Niemals ein Wort zu viel, nichts Unsicheres oder Verworrenes in ihren Antworten.» Wenn sie so viele Besucher empfangen muss, geschieht das, um dem göttlichen Willen und ihren geistlichen Führern zu gehorchen; das war ein hartes Leiden für sie, das sich nach und nach in die Freude verwandelte, zur Ehre Gottes zu wirken. Sie betont vor allem in ihren Unterweisungen das Schweigen und die Einfachheit. „Meine Kinder“, sagte sie, „wenn man wissen will, welcher Geist in einem Ordenshaus herrscht, braucht man nur beobachten, ob das Stillschweigen gut gehalten wird.“
Die Dienerin Gottes, deren Hauptfehler ihr Eigensinn, ihr Dickkopf war, begann ab dort, wo sie es bemerkte, ihrem Willen zu entsagen. „Um Fortschritte zu machen in der Abtötung und meine Eigensinnigkeit zu schwächen, suchte ich, das zu tun, was meinem Willen entgegengesetzt war.“ Sie greift auf das Gebet zurück und verspricht: „dir alle meine derzeitigen Leiden aufzuopfern, um die Gnade zu erlangen, über mich selber zu siegen.“ Sie gehorcht ihren Eltern und Pfarrer Reichard in dem, was ihr am schwersten fällt. Sie machte so große Fortschritte, dass Pfarrer Reichard Bischof Raess schreiben konnte: „Sie übt die erhabensten Tugenden, tiefe Demut mit großer innerer und äußerer Abtötung.“ Sie musste vor allem ihrem eigenen Empfinden entsagen, als sie sich verloren glaubte, von Gott verworfen und ihr Seelenführer ihr die Verpflichtung zum Beten auferlegte. Sie überwand sich so gut, dass sie sogar ihr Gebet verlängerte, trotz des Widerwillens, den sie empfand. Innere Leiden waren ihr Anteil, sie dauerten ihr Leben lang an. Das war ihr als schwere innere Abtötung auferlegt und sie nahm es großmütig an, sie ließ niemand etwas davon merken und fand darin ihren Frieden und ihre Freude.
Sie musste zahlreiche Widersprüche ertragen; ihre empfindsame und unbeugsame Natur musste davor erschaudern, aber man merkte ihr niemals Aufregung und Ungeduld an. Widersprüche von ihren Eltern gegen ihr Leben der Frömmigkeit – „Man beschuldigt sie, eine Last für ihre Familie zu sein“, sagt Pfarrer Reichard, „das vergrößert ihr Martyrium“. Einheimische Bewohner machen sich über sie lustig und nennen sie „die heilige Liesel“. Sie ertrug alles mit unerschütterlicher Geduld; Pfarrer Reichard sagt: „nie klagte sie über böswillige Äußerungen, noch erwiderte sie eine der vielen Beleidigungen, die ihr an den Kopf geworfen wurden.“ Viele Priester missbilligten sie in höchstem Maß. Ein Bischof beschimpft sie. „Man verachtet uns, man würde uns verfolgen, wenn es der gute Gott zuließe“ sagt Pfarrer Reichard. „Man sucht von verschiedenen Seiten“, sagt Bischof Raess „Unzufriedenheit in der Kongregation zu schüren, und ich merke mit Bitterkeit, dass der Angriff gegen die Oberin gerichtet ist.“ Die schmerzlich- sten Widersprüche kamen von den Häusern in Wien, Ödenburg / Sopron und Würzburg und den bischöflichen Behörden dieser Orte.
Unser Herr hatte der Dienerin Gottes alle diese Leiden und Widersprüche angekündigt „Leide, schweige und bete.“ Diese Weisung wurde gewissenhaft eingehalten.
Die Dienerin Gottes liebte in allem die Einfachheit des Lebens sehr, sie gibt dies der Kongregation als „besondere Note“; sie verlangte große Einfachheit in der Einrichtung der Schwesternhäuser: das unbedingt Notwendige, aber große Sauberkeit. Sie wollte, dass das Kleid einfach sei. Sie empfiehlt, wachsam zu sein, um es vor jedem Flecken zu schützen, damit nicht durch Unachtsamkeit Verschleiß verursacht wird, „denn es ist sehr teuer, und wir müssen sparen, um den Armen besser zu helfen.“ All das belegt, wie sich die Dienerin Gottes um Details kümmerte und um das vollkommene Maß, das man bei allem wahren muss.