Die Klugheit
Die Dienerin Gottes übte die Klugheit heldenhaft, denn man kann in ihrem Leben kein Tun finden, das einen rein menschlichen Zweck hatte. Alles in ihr ist auf Gott ausgerichtet, auf das ewige Heil, die Heiligung, die Ehre, die Gott zu „bereiten“ ist, auf das Heil der Seelen. Ihre steten Bemühungen sind nur auf dieses Ziel gerichtet.
Sehr misstrauisch sich selbst gegenüber, suchte sie von ihrer frühen Kindheit an Licht und praktische Ratschläge für ihr Verhalten beim frommen, weisen und klugen Leiter Abbé Reichard. Sie hatte die große Weisheit, ihn ihr ganzes Leben als geistlichen Führer zu behalten, in der tiefen Überzeugung, dass Gott es so wollte. In ihren inneren Leiden hatte sie mit 17 Jahren versucht, Trost bei einem anderen Beichtvater zu suchen; schnell erkannte sie ihren Irrtum und kam zu Pfarrer Reichard zurück. Sie folgte den Weisungen von Abbé Reichard immer und in allem. Diese Klugheit empfiehlt sie auch ihren Töchtern: „O meine Kinder, dass ihr doch verstehen möget, wie nützlich es ist, in Versuchungen unverzüglich den Rat eures Beichtvaters oder eurer Oberen zu erbitten und ihre Meinung willig zu befolgen!“
Die Dienerin Gottes hatte eine sehr lebendige Gottesfurcht, sie war äußerst sensibel für alles, was die Reinheit ihres Gewissens und die Verbundenheit mit Gott beeinträchtigen hätte können. Sie ergriff sofort die direktesten und sichersten Mittel: Gebet, Buße, Flucht vor den Gelegenheiten. Als sie sich der harten Arbeit am Feld widmete, stellte sie mit 14 Jahren fest, dass sie Stunden zugebracht hatte, ohne sich in der Gegenwart Gottes zu erhalten. „Nach zehn Tagen habe ich mich an all das erinnert, was ich mir am Tag meiner Erstkommunion vorgenommen hatte, und ich betrachtete meine Lauheit. Da wurde ich ergriffen von Furcht und Scham, das weckte meinen Eifer wieder. Ich nahm mir Bußübungen zu Hilfe.“ Pfarrer Reichard bezeugt: „Sie bat vor allem die Königin der Jungfrauen, ihr die Reinheit des Herzens zu bewahren, und sie wachte selbst mit gewissenhafter Sorgfalt über diesen kostbaren Schatz…“ „Es ist wahr, diese engelgleiche Seele wurde nie auch nur von einem unreinen Gedanken getrübt.“
Nachdem sie beharrlich gegen ihren Hauptfehler, eine gewisse Heftigkeit des Temperamentes, gekämpft hatte, hatte sie in beachtlichem Maß Zurückhaltung und Diskretion erreicht, wie es viele bezeugten, die mit ihr in Kontakt gekommen sind. Sie traf ihre Entscheidungen sachgerecht, denn sie richtete sich immer nach den Eingebungen von oben und nach den Ratschlägen, die sie erhielt, sowohl beim Beginn ihres Werkes als auch bei dessen Entfaltung: Bauten, Eröffnung von Häusern, Beziehungen zu Behörden, Auswahl und Erkennen von Berufungen. Obwohl sie glühender Eifer antrieb, erlebt man nicht, dass sie etwas übereilt und überstürzt machte, aus eigenem Antrieb, wie festgestellt wird.
Was der Dienerin Gottes dieses Gleichmaß gibt, diese Sachgerechtheit bei Entscheidungen, war ihr Gebetsgeist, ihre Gottverbundenheit. Pfarrer Reichard bezeugt: „Völlig überzeugt, dass man Gott alles, was die Kongregation betrifft, überlassen muss, versenkt sie sich im Gebet in das göttliche Herz Jesu, um alles von ihm zu erbitten.“ Sie flehte den Herrn an, er möge ihr seinen heiligen Willen zeigen bei der Aufnahme von Postulantinnen…, sie hörte den Herrn antworten: „Meine Tochter, dein Gebet ist mir angenehm, wende dich stets an mich und überlasse mir alles.“ Das tat die Dienerin Gottes; ihre Klugheit bestand vor allem im vollständigen Sich Gott überlassen, das sie im Gebet festigte und lebendig erhielt.
Sie gab ihren Töchtern diese Verhaltensregel: „Am Anfang ihrer Beschäftigungen soll die Schwester vom Göttlichen Erlöser die gute Meinung erneuern und bei allen ihren Unternehmungen eine rechte und reine Absicht haben; alles beginne sie im Namen Jesu und Marias. Nachdem ihr am Morgen eure Entschlüsse gefasst habt, bringt sie dem Herrn beim heiligen Opfer dar und bittet ihn um die Gnaden, die ihr braucht, um sie auszuführen. Empfangt in der gleichen Meinung die heilige Eucharistie. Die Heilige Kommunion wird dazu das Siegel sein und die Ausführung sichern.“
Was den Zweck ihres Werkes betrifft: die leibliche und geistliche Sorge für Arme und Kranke, empfiehlt die Dienerin Gottes ihren Töchtern die gleiche Klugheit in diesen Worten von bewundernswerter Weisheit: „Liebe Kinder, ich will euch ein gutes Mittel in die Hand geben, bevor ihr zu den Armen und zu den Kranken geht, in schwierigen Umständen und ohne Hilfe, wenn ihr nicht wisst, wie anfangen. Ich rate euch, euch einige Augenblicke unter das Kreuz zu begeben und so zu beten: „Jesus, lehre mich, was ich bei dieser Person tun soll, gib mir die geeigneten Mittel, damit ich deinen heiligen Willen erfülle bei diesem Armen und diesem Kranken. O Jesus, ich lasse nicht von dir ab, bis du mich erhört hast; ich bitte dich, gewähre diesem Menschen Gnade und Barmherzigkeit.“ Geht dann mit Vertrauen. Wenn ich euch das innere Gebet empfehle, wird das euer Tun nicht hindern, im Gegenteil, der gute Gott wird euch umso mehr Einsicht und Wissen geben.“
Die Dienerin Gottes konnte abschätzen, welche Anstrengung sie von jeder ihrer Töchter verlangen konnte. „Es ist gut, vor allem in den Anfängen, seine Vorsätze auf kurze Zeit zu beschränken, damit man sich nicht selbst den Mut nimmt beim Anblick einer Arbeit, einer Verpflichtung, deren Dauer eine schwache Seele oder eine Novizin erschrecken könnte.“
Bei der Ausübung ihrer Aufgaben hatte die Dienerin Gottes die beständige Sorge, ihren Töchtern solche Lebensbedingungen zu gewährleisten, dass die Regel beobachtet werden kann, aber auch ausreichende materielle Bedingungen, damit sie ihre karitativen Werke regelmäßig und wirksam erfüllen können. „Es gehört zu meinen Pflichten“, sagte sie zu einem Bürgermeister, „um die Gesundheit meiner Schwestern Sorge zu tragen. Ich bitte Sie also, auf diese Einrichtung zu achten und sich dafür zu interessieren, so dass Nahrung und Kleidung für die Schwestern gesichert ist. Das verlangen wir an allen Orten, wo sie sich aufhalten.“ Und zu einem Pfarrer: „Ich achte streng darauf, dass meine Töchter den Zweck ihres heiligen Berufes erfüllen, gleichzeitig ist es mir eine große Sorge, dass sie – wie der Apostel sagt – immer die notwendige Nahrung und Kleidung haben.“
Mutter Alfons Maria verstand es immer, die Arbeit mit dem Gebet zu verbinden. Als Bauerntochter sagt sie in ihrer Autobiografie über ihre ersten Jahre: „Mit fünf Jahren arbeitete ich schon gern.“ Als junges Mädchen widmete sie sich den Pflichten ihres Standes ohne jede Nachlässigkeit: der Arbeit am Feld, und sie betete und blieb mit Gott verbunden, wenn sie hart arbeitete. So lernte sie aus Erfahrung, was sie ihre Töchter gut lehren sollte: ein intensives Gebetsleben und dabei sich so mühen, wie dies die Pflege von Armen und Kranken fordert. Pfarrer Reichard konnte bezeugen: „Sie teilte ihre gesamte Zeit zwischen Arbeit und Gebet, oder vielmehr betete sie beständig, auch wenn sie arbeitete.“
Sie liebte und übte vollständige Einfachheit. Das fiel bei ihr vielleicht am meisten auf, sie beeindruckte durch diese Eigenschaft alle, die mit ihr in Kontakt kamen. Pfarrer Reichard bezeugt: „Die Ruhe und Einfachheit, mit der sie mir diese Offenbarungen mitteilt, lieferten mir starke Beweise für einen unmittelbaren Einfluss Gottes.“ Bischof Raess sagt: „Ich habe bei ihr alle Anzeichen einer privilegierten Seele erkannt, von vornehmer Einfachheit, von unbedingter Aufrichtigkeit.“
Abbé Busson schreibt: „Aufrichtigkeit, Geradheit, Liebe zur Wahrheit sind die vorherrschenden Merkmale ihrer Persönlichkeit.“ Ein Priester: „Kaum war ich bei ihr eingetreten, war ich sogleich beeindruckt von ihrer offenen Art, während ich etwas von dem Getue erwartet hatte, dem man bei Menschen begegnet, die glauben, vom Himmel bevorzugt zu sein; ich konnte nicht die mindeste Spur davon in ihrem Benehmen erkennen, das – frei von jeder Geziertheit – nichts bezeugte als engelgleiche Sanftheit und vornehme Abgeklärtheit, die man mit allen Anstrengungen nicht vorspielen kann.“
Vor allem darum besorgt, ihre Töchter auf die Wege der Vollkommenheit zu führen, sucht sie stets, sie vor allem zu warnen, was sie von diesen Wegen abbringen oder ihr Weiterkommen verlangsamen könnte. Sie legt ihnen nahe, sich vertraulich mit Gott zu unterhalten: „Möge es mir doch gegeben sein, meine Kinder, eure Herzen dazu zu bringen, sich zum vertrauten Gespräch mit Gott hingezogen zu fühlen! Wie glücklich wäre ich, wenn ich sehe, dass ihr Fortschritte macht bei dieser so abenteuerlichen Wissenschaft, die so leicht zu erlernen und so angenehm zu praktizieren ist!“ In ihrer Regel schreibt sie: „Während der ganzen Zeit, die die Schwestern beim Kranken verbringen, dürfen sie sich nie an unnützen Unterhaltungen beteiligen. Die freien Zeiten sind dem Gebet zu widmen, der Arbeit oder Unterhaltungen, die das Ziel haben, die Ehre Gottes, das Heil der Seelen zu fördern.“
Die Klugheit der Dienerin Gottes wird deutlich sichtbar in ihren Überlegungen, dass um jeden Preis ein einziges Noviziat beibehalten werden soll, ebenso die jährlichen Exerzitien im Mutterhaus, welche Opfer dafür auch zu bringen sind, denn sie war überzeugt, dass das eine lebensnotwendige Frage für die Aufrechterhaltung das guten Geistes und für die Einheit aller Mitglieder ist. Sie wusste zu kämpfen und zu leiden für das Einhalten dieser beiden Bestimmungen. Das kostete ihr die schwere Prüfung der Trennung der Häuser von Wien, Ödenburg / Sopron und Würzburg, Prüfungen, die ihre Gesundheit so beeinträchtigen werden, dass sie sich nicht mehr davon erholt.